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Nach uns die Wende

Nach uns die Wende

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Die Kinder, die im Jahr des Mauerfalls geboren wurden, werden in diesem Jahr 30. Wie alle anderen, die nach ihnen kamen, haben sie nie ein geteiltes Deutschland erlebt. Und doch gibt es sie noch, die kleinen Unterschiede. Zu diesem Schluss kommt zumindest die Studie der Otto-Brenner-Stiftung „Im vereinten Deutschland geboren – in den Einstellungen gespalten?“. Im Rahmen der Untersuchung gab jede*r fünfte ostdeutsche Befragte an, sich primär nicht deutsch, sondern ostdeutsch zu fühlen. Im Vergleich dazu gab weniger als jede*r zehnte Westdeutsche an, sich primär westdeutsch zu fühlen. Gibt es 30 Jahre nach dem Mauerfall also noch so etwas wie eine ostdeutsche Identität?

Die Psychologie beschreibt den Begriff der „Identität“ mit der Art und Weise, wie sich eine Person selbst in ihrem Inneren als Einheit wahrnimmt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Identität eines Menschen oft auf bestimmte Zuschreibungskategorien wie Alter, Beruf und Herkunft verkürzt. Dabei finden wir heraus, wer wir selbst sind, indem wir uns von anderen abgrenzen. Wir sind jung oder alt, reich oder arm, ostdeutsch oder westdeutsch. Doch Identität ist ein dynamisches Konstrukt, das sich keineswegs nur über die Herkunft eines Menschen erklären lässt. Sie formt sich im Laufe eines Lebens und verändert sich.

Die Kategorie „ostdeutsch“ ist deshalb nur ein Teil des großen Mosaiks einer Persönlichkeit. Doch das geteiltes Selbstverständnis der Nachwendegeneration sagt viel über die tatsächliche Einigkeit in diesem Land aus. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung lohnt es sich deshalb, genau darauf zu schauen. Wir haben mit sieben jungen Menschen gesprochen, die nach der Wende in Ostdeutschland aufgewachsen sind, um herauszufinden, was die “ostdeutsche Identität” für sie im Jahr 2019 bedeutet.
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Jamila Al-Yousef, 29, wurde am Tag des Mauerfalls in Ostberlin geboren. Als sie vier Jahre alt war, zog ihre Familie nach Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Mittlerweile wohnt sie wieder in Berlin und ist dort als Musikerin tätig.

„Wir sind immer viel gereist, da ich auch Familie in Jordanien und Palästina habe. Generell habe ich ein Problem damit, mich über eine nationale Herkunft zu identifizieren. Ich identifiziere mich darüber, dass ich aus Berlin komme und damit auch mit der krassen Diversität, die es in der Stadt gibt. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mich in einer sehr internationalen Musikszene bewege.

Ich würde nicht sagen, dass es die eine ostdeutsche Identität gibt. Jedes Individuum entwickelt auf Grund ganz verschiedener Dinge eine Identität und diese Dinge können auch sehr verbindende Elemente sein, die gar nicht lokal verortbar sind. Was ich allerdings bei Menschen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, wahrnehme, ist ein starker Fokus auf Gerechtigkeit. Ich glaube, dass das in einem sozialistischen Verständnis ein ganz wesentlicher Faktor ist. Davon ist auch meine Generation noch beeinflusst, da man ja als Kind stark von seinem seinem Umfeld geprägt wird.

Ich bin ganz ganz eng mit meiner Berliner Oma aufgewachsen, die drei Systeme erlebt hat. Sowohl den Zweiten Weltkrieg als auch die DDR und dann die Nachwendezeit. Sie war bis zu ihrem Tod meine wichtigste Bezugsperson und hat mich ganz doll geprägt. Dabei habe ich auch gemerkt, wie viel Trauma ihre Generation erlebt hat. Ihre gesamte Familie ist im Zweiten Weltkrieg gestorben und mein Opa war zu DDR-Zeiten ganz früh im Gefängnis. Ich glaube, dass viele Menschen, die tatsächlich die DDR erlebt haben, das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihr früheres Leben und Schaffen wenig wertgeschätzt wird.

Vor allem in den letzten 30 Jahre wurde Ostdeutschland medial oft sehr negativ dargestellt. Vieles ist faktisch richtig, aber es fehlte oft eine Analyse: Warum ist das so? Wie viele Menschen haben durch die Wende auch einen ganz starken sozialen Abstieg erlebt? Ich denke, da wurde ganz viel Aufklärung versäumt. Allgemein finde ich, dass wir einander mehr Fragen stellen sollten, anstatt generalisierte Aussagen übereinander zu machen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Menschen in Ostdeutschland zu selten nach ihren Erfahrungen gefragt werden und ihnen dann auch nicht richtig zuhört wird wenn sie antworten. Fragen und zuhören - das hat ja auch irgendwie was mit Respekt zu tun und damit, die Menschen ernst zu nehmen.“

Foto: Carolin Saage
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„Was für ein ‘drüben’?”

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Laut der Befragung der Otto-Brenner-Stiftung schätzen 74 Prozent der jungen Westdeutschen die wirtschaftliche Lage ihrer Region als gut ein. Dahingegen stimmten junge Ostdeutsche dieser Aussage nur noch mit rund 60 Prozent zu. Die Wahrnehmung der Nachwendegeneration belegt, was Wirtschaftsdaten noch immer zeigen: Ostdeutsche Regionen haben auch 30 Jahre nach dem Mauerfall eine schwächere Wirtschaftskraft.

Auch ein Blick auf die Arbeitsmarktperspektiven zeigt, dass sich junge Ostdeutsche schlechter gestellt sehen. Während sich 57 Prozent der jungen Westdeutschen gute Chancen in der eigenen Region ausrechnen, tun dies lediglich 46 Prozent der Nachwendegeneration aus Ostdeutschland.

Dass der Osten wirtschaftlich aber komplett abgehängt ist, glaubt Florian Arndt nicht. Der 27-Jährige hat vor sechs Jahren seine eigene Filmproduktionsfirma in Leipzig gegründet und beschäftigt heute mehr als 30 Mitarbeiter*innen. „Ich glaube, dass die Provinz im Allgemeinen abgehängt ist.“ Das Problem habe eben nicht nur der Osten, sondern auch Regionen in Bayern, die kein Internet oder die nötige Infrastruktur haben, so der junge Gründer.
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Auch Daniel Müschen aus Aschersleben findet, dass die ostdeutsche Wirtschaft immer noch nicht mit der gesamtdeutschen gleichauf ist. Er arbeitet in einem weltweit agierenden Unternehmen in Sachsen-Anhalt. Doch selbst innerbetrieblich stellt er Unterschiede zwischen Ost und West fest.
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Daniel Müschen, 29, ist in Großburgwedel bei Hannover (Niedersachsen) geboren. Kurz nach seiner Geburt zog seine Familie mit ihm nach Aschersleben in Sachsen-Anhalt. Nach seinem Fachabitur machte er eine Ausbildung zum Industriemechatroniker.  

Ich identifiziere mich als ‚ostdeutsch‘ – aber nicht im negativen Sinne! Ich finde es hier schön. Klar reise ich viel und bin oft im 'Westen’ bei meiner Verwandtschaft, aber Identität macht für mich aus, wo man sich Zuhause fühlt. Und das ist für mich Aschersleben. Für die richtigen Gründe würde ich auch wegziehen, aber das hat nichts mit Ost-West oder der wirtschaftlichen Lage zu tun. Obwohl Ostdeutschland dahingehend ein bisschen hinterherhinkt. Aber ich bin festangestellt und verdiene hier sehr gut. Das einzige, was ich nicht verstehe: Wieso kann jemand im Osten für dieselbe Arbeit nicht dasselbe verdienen wie jemand im Westen? Selbst innerhalb eines Betriebes gibt es da Unterschiede. Das Unternehmen, für das ich arbeite, hat auch einen Standort rund 100 Kilometer weiter in Niedersachsen, also im Westen. Die Mitarbeiter dort gehen weniger Stunden arbeiten, verdienen aber mehr als wir – trotz Tarif und allem. Das finde ich unfair.  

Aber ich will nicht meckern, das machen die Menschen im Osten schon genug. Vielen ist gar nicht bewusst, wie gut es ihnen geht. Die schimpfen immer: 'Früher war alles besser‘. Dann frage ich: ‘Was war denn besser? Früher durftest du nirgends hinfahren, keinen Urlaub machen oder einfach ein Haus bauen und musstest ewig auf Dinge warten.' Früher war definitiv nicht alles besser! Mit meinen Eltern habe ich nie groß über DDR und BRD geredet und auch in meiner Generation ist das kaum Thema. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Deutschland weiter zusammenwächst und die Mauer auch endlich aus den Köpfen verschwindet.  

Manchmal wird man darauf reduziert, dass man aus dem Osten kommt. Und von oben herab als 'dummer Ossi' betrachtet. Dieses Ost-West-Gehabe nervt! Außerdem gibt’s im Westen auch Unterschiede: Ein 'Nordlicht' hat ebenfalls eine andere Mentalität als ein Schwabe oder Bayer. Bei solchen Vorurteilen denke ich auch oft an die Ausländerfeindlichkeit im Osten. Viele Menschen hier haben Angst vor dem vermeintlich 'bösen schwarzen Mann' – haben dabei aber noch nie einen Ausländer aus der Nähe gesehen und fliegen jedes Jahr in die Türkei, um dort im all-inclusive-Hotel Urlaub zu machen. Das finde ich nicht okay! Ich denke, dass viele unreflektiert ihren Eltern nachplappern. Ich finde: Arschlöcher gibt's überall. Das hat nichts mit Herkunft zu tun, sondern mit Erziehung.
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„Mit meinen Eltern habe ich nie groß über die DDR gesprochen”

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Hält man sich an das Humboldt’sche Zitat: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft” und vertraut Berliner Politikforschern, dann steht die Zukunft der Nachwendegeneration auf dem Spiel. Eine Studie von 2012 kam zu einem beunruhigenden Ergebnis, das sich bereits in ihrem Titel andeutet: “Später Sieg der Diktaturen?” Die Forscher*innen des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin stellten das Geschichtswissen von ost- und westdeutschen Neuntklässler*innen auf den Prüfstand und bescheinigten den Schüler*innen ein mangelhaftes Wissen über die DDR und über andere Epochen der jüngeren deutschen Geschichte.
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Die OBS-Studie von 2018 fand heraus, dass sich ost- und westdeutsche Nachwendekinder auch mit ihren Eltern unterschiedlich häufig mit der Wiedervereinigung auseinandersetzen.

Auch Janine Freitag findet, dass das Leben in der DDR nur wenig bis gar nicht in der Schule thematisiert wird. Sie ist eine junge Geschichtslehrerin an einer Schule in Sachsen-Anhalt und erzählt, woran das liegen könnte.
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Janine Freitag, 29, ist in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) aufgewachsen, hat in Erfurt (Thüringen) Geschichte und Ethik auf Lehramt studiert. Zurück in Aschersleben unterrichtet sie als verbeamtete Lehrerin an einer Sekundarschule Geschichte, Ethik und Englisch.

„Die DDR ist zwar im Lehrplan vorgegeben, ist aber kaum zu schaffen. Das liegt daran, dass die neunten und zehnten Klasse proppen voll sind. Der Erste und Zweite Weltkrieg nehmen am meisten Platz ein. Nach der NS-Zeit folgt deutsch-deutsche Geschichte, Aufteilung Deutschlands und Mauerbau. Die DDR wird erst am Ende des Schuljahres behandelt, wenn dafür noch Zeit ist. Als ich Schülerin war, hatten wir das Thema jedenfalls nicht mehr geschafft. Auch als ich nach der 10. Klasse auf ein Gymnasium gewechselt bin, wurde das dort wenig thematisiert.

Wenn ich mit meinen Schülern das erste Mal über Ostdeutschland rede, dann schauen die mich komisch an, weil ich 'Ostdeutschland' sage. Sie haben das zwar schon mal gehört, aber fundiertes Kenntnisse darüber haben die natürlich nicht. Die wissen erst einmal nur, dass Berlin geteilt war, dass die Sowjetunion immer alles verboten hat und dass es die Amerikaner gab, die alles mitgebracht haben und weswegen sie die als 'cool' empfinden. Dann gibt es da noch vereinzelt die ganz Interessierten, die auch noch viel mehr wissen.

Aber die meisten juckt es wirklich gar nicht, denn 'Mama sagt ja immer: Uns ging’s damals gut'. Meiner Familie ging es in der DDR ebenfalls gut und zu den ‘Wendeverlierern’ zählen sie auch nicht. Die hatten alle immer Arbeit. Mit meinen Eltern habe ich aber nie groß über die DDR gesprochen. Mit meiner Oma schon öfter, aber nur, weil sie ähnliche Sachen gemacht hat wie ich, zum Beispiel in Thüringen studiert.

Apropos Studium: Da ist mir das erste Mal aufgefallen, dass ich anders aufgewachsen bin. Ich hatte häufig das Gefühl, dass Studierende aus Bayern oder Baden-Württemberg eine viel bessere Schulbildung erhalten haben – die mussten weniger lernen und kannten vieles schon. So habe ich es zumindest empfunden. Dahingehend sollte das Schulsystem bundesweit auf jeden Fall angepasst werden! Viel über die DDR und wie es heutzutage in Ostdeutschland aussieht, wussten die trotzdem nicht. Generell bietet das Studium aber eine gute Gelegenheit, 'andere' Menschen kennenzulernen. Dadurch nimmt man neue Perspektiven ein. Das prägt natürlich und lässt darüber nachdenken, generell europa- und weltoffener zu sein.

Kurioses Phänomen: Ostdeutsche ziehen einander wie Magnete an, auch wenn man sich selbst keine ‘ostdeutsche Identität’ zuschreibt – so war das auch bei meinem Mann, der in Bayern studiert hat. Klar haben wir auch Freunde aus Westdeutschland. Aber vielleicht gibt’s da doch noch Mentalitätsunterschiede? Sind wir untereinander offener? Sind es unsere ähnlichen Dialekte? Beschreiben kann ich das nicht genau – es ist einfach ein Gefühl.”
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„Wenn das die Wessis sind –

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30 Jahre Mauerfall – das bedeutet auch 30 Jahre Demokratie für alle deutschen Bürger*innen. Sowohl im Westen als auch im Osten haben junge Deutsche neben der Demokratie nie eine andere Staatsform selber miterlebt. Doch wie zufrieden ist die Nachwendegeneration mit dem politischen System in ihrem Land? Wie groß ist überhaupt ihr politisches Interesse? 
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Die Mauer zwischen Ost und West scheint an manchen Stellen stehen geblieben zu sein, als würde etwa das Vertrauen in das demokratische System oder in die Bundesregierung auf der geographischen Herkunft beruhen. Doch dem ist nicht immer so. Das Forscherteam führt das Demokratieverständnis eher auf die wirtschaftliche Lage zurück als auf "kulturelle" Differenzen und Unterschiede in der eigenen Sozialisation.

Einer, der den Glauben an die Politik nicht aufgegeben hat, ist Tom Pannwitt. Schon während seiner Ausbildung zum Mechatroniker wollte er mitreden, wenn es um Fragen ging, die seine Zukunft beeinflussten. Er trat in die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft ein, dann in die SPD. In diesem Jahr kandidierte der 30-Jährige das erste Mal für den Leipziger Stadtrat im Nordosten. Politiker*innen müssten, so sagt er, ein Verständnis für die Vergangenheit Ostdeutschlands mitbringen, um die Sorgen der Menschen verstehen zu können. Für ihn ist Ostdeutschland ein Teil seiner Identität - wenn auch nicht der offensichtlichste:
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“Ich glaube in unserer Generation gibt es zu 90 Prozent Schnittmengen”

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Die wirtschaftlich schlechte Lage, rechtspopulistische Tendenzen und die zunehmende Abwanderung - diese Themen dominieren derzeit die Berichterstattung über Ostdeutschland. Eine Analyse des MDR hat ergeben, dass im Jahr 2016 rund 67 Prozent der untersuchten Artikel über Ostdeutschland in Verbindung mit dem Wort „abgehängt“ standen. Ein Attribut, das sich fest in die Köpfe gebrannt hat wie die Kombination aus „Alter“ und „Armut“. Doch kollektive Narrative wie „der abhängte Osten“, können zum Problem werden und letztendlich die Identität einer ganzen Gesellschaft beeinflussen. 
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Anne Ramstorf wurde 1991 in Berlin Köpenick geboren. Sie hat 2015 mit dem Podcast „Ostwärts – Eine Ode an den Osten“ ein Medienformat geschaffen, das den Osten und seine Menschen in den Mittelpunkt stellt.

„Ich habe mich darüber aufgeregt, wie über Ostdeutsche gesprochen wurde, wie man Menschen in einen Topf geworfen hat – auf einmal sind alle rechtsradikal, Pegida-Anhänger und AfD-Wähler. Ich dachte, dazu muss es einen Gegenpol geben.“

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Nhi Le ist 24 Jahre alt, ist in Thüringen geboren und aufgewachsen. Mit 18 Jahren zog sie zum Studieren nach Leipzig. Sie arbeitet als freie Journalistin für unterschiedliche Medien und ist als Speakerin zu bildungspolitischen Themen tätig. Aktuell schreibt sie ihre Masterarbeit.

„Identität bedeutet für mich, wie man sich selbst sieht und auch wie man sich selbst gerne sehen möchte. Zu meiner eigenen Identität gehören meine Werte, meine Interessen, die Dinge, für die ich mich einsetze. Zu meiner Identität gehören auch biografische Elemente, etwa wo und unter welchen Umständen ich aufgewachsen bin. Meine Herkunft ist Teil meiner Identität, aber sie macht mich als Person nicht aus. Auf meine Herkunft will ich nicht reduziert werden. Allerdings haben die Erfahrungen, die ich aufgrund meiner Herkunft gemacht habe, mich und meine Arbeit geprägt.

Themen wie Rassismus und Sexismus sind mir seit jeher sehr wichtig. Ich habe angefangen, mich mit diesen Formen von Diskriminierung auseinanderzusetzen – anfangs noch auf kreative, künstlerische Weise als Poetry Slammerin –, um mir selbst klar zu werden, was da mit mir passiert. Ich komme aus einem kleinen Ort. In meinem Jahrgang war ich damals die einzige nicht weiße Schülerin. Hinzu kommt, dass ich in einer Gegend aufgewachsen bin, in der es schon immer starke Nazi-Strukturen gab. Diese Umstände haben mich dazu bewegt, was dagegen machen zu wollen. Ich habe angefangen, mich für Jugendarbeit zu interessieren.  

Rassismus gibt es auch in Westdeutschland. Im Osten hat Rassismus allerdings eine spezifische Ausprägung. Wenn ich in ostdeutschen Kleinstädten wie der Stadt, aus der ich komme, bin, sehe ich, dass die Leute wirtschaftlich abgehängt sind, dass viele Leute oftmals von Hass erfüllt sind. Ich versuche, das aber nicht zu pathologisieren und zu sagen 'Ach, die armen Wendeverlierer'. Nichts entschuldigt nationalistisches und rassistisches Verhalten.  

Es ist außerdem ein Trugschluss, zu sagen, Rassismus sei ein Problem der Älteren. Rassismus gibt es auf jeden Fall auch bei unter 30-Jährigen, bei Nachwendekindern. Vor kurzem gab es einen Fall in Thüringen. Schüler trugen bei einer Schulfeier auf ihrer Kleidung rechtsextreme Symbole. Die Lehrer haben es einfach nicht bemerkt und genau diese Blindheit ist das Problem. Man muss realisieren, dass es ein Naziproblem gibt, bevor man es bekämpfen kann. Es muss Schulungen geben, die Lehrern zeigen, wie man die Codes erkennt, wie rechtsradikale Strukturen aufgebaut sind. Man sollte junge Leute in ihren Anliegen ernst nehmen. Wenn man das nicht tut, geschieht es einem wie traditionellen Medien und der CDU nach Rezo. Gleichzeitig sollte man auch nicht auf rechte ‚Wutbürger‘ hereinfallen wie viele Medien bei Pegida.“

Foto: Nhi Le
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