In vielen Flüssen und Tagebauseen in Mitteldeutschland und der Lausitz fließt Wasser aus dem Braunkohletagebau. Mit dem Ausstieg aus der Braunkohle versiegt diese Quelle allmählich – schlecht für die Weiße Elster, die Spree und neue Seen. Können andere Flüsse wie die Elbe das Neuseenland oder die Spree in Berlin retten – oder sind diese Pläne eine Illusion?
Eine Ebene voll gefluteter Tagebau-Restlöcher: Seen, die aus der Luft betrachtet wie Perlen glänzen, die im Sommer zum kühlen Bad einladen, Touristen anlocken und Natur bieten – an Orten, die zuvor vom Braunkohlebergbau verwüstet wurden: Diese Vision haben die Menschen in der Leipziger Tieflandsbucht lange gehegt; und es gab kaum Zweifel daran, dass auch der letzte ehemalige Tagebau schließlich mit Wasser gefüllt wird.
So soll im Tagebau Vereinigtes Schleenhain der Pereser See entstehen. Mit mehr als zwölf Quadratkilometern würde es der größte See in der Region. Vier weitere sind im Umfeld geplant.
Inzwischen aber stellt sich die Frage, ob die Seen wie geplant geflutet werden können. Denn mit dem Ende des Kohleabbaus wird es in den Flüssen der Region auch kein "Sümpfungswasser" mehr geben, das in den Tagebauen abgepumpt wird. Es wurde bislang auch zum Fluten der Restlöcher genutzt. Es wird an vielen Stellen fehlen: zum Fluten der Seen, in den Flüssen und in den Leitungen im wachsenden Großraum Leipzig.
Der Tagebau Vereinigtes Schleenhain ist noch aktiv, es wird noch Kohle abgebaut. Mit dem nahen Ausstieg aus der Kohle steigen die Zweifel, ob dieses Restloch so mit Wasser gefüllt werden kann wie gedacht.
Durch den Ausfall des Tagebauwassers werden in der Region der Tagebaue Vereinigtes Schleenhain und Profen rund 1,6 Milliarden Kubikmeter Wasser fehlen, sagt Andreas Berkner vom Planungsverband Westsachsen. Er begleitet die Transformation der Bergbaufolgelandschaft im Mitteldeutschen Revier seit Jahrzehnten. Für das Füllen der Restlöcher südlich von Leipzig, sagt er, bräuchte es das Siebenfache des Volumens der Bleilochtalsperre.
Was aber passiert, wenn es kein Wasser mehr gibt? Berkner skizziert drei Möglichkeiten, mit den restlichen Tagebaulöchern umzugehen - schließt sie aber zugleich alle aus:
Das Tagebauloch sich selbst zu überlassen, das ist aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe durchaus eine Option. Wildnis zuzulassen lohne sich, sagt UIrich Stöcker, das habe sich in der Region bereits gezeigt.
Was diesen bedrohten Vogelarten gefallen könnte, ist bergrechtlich aber nicht zulässig. Aus Berkners Sicht gibt es keine Alternative zur Flutung der Seen. Doch diese muss relativ zügig geschehen, meint Carsten Drebenstedt, Professor für Tagebau an der TU Freiberg. Die lockeren Böschungen müssten stabilisiert werden. Das Wasser dazu könnte aus den Flüssen Weiße Elster und Pleiße kommen.
Doch auch diese Flüsse sind bergbaugeschädigt; sie wurden bislang mit Wassern aus den Tagebauen aufgefüllt. Sie führen nicht genug Wasser, um Restlöcher zu fluten. Nun rücken die Mulde und die Saale als mögliche Wasserquellen in den Mittelpunkt. Doch auch deren Nutzung hat ökologische und ökonomische Grenzen.
Wie viel Wasser für die Flutung der Restlöcher tatsächlich gebraucht wird, muss noch berechnet werden. Klar ist: Der Wassermangel, der mit dem Ende des Braunkohletagebaus einhergeht, begrenzt sowohl die Renaturierung der Restlöcher als auch die gesamte weitere wirtschaftliche Entwicklung der Region – insbesondere Ansiedlungen mit hohem Wasserbedarf.
Andreas Berkner zufolge können weitere Wassernutzungswünsche aus der Wirtschaft in einem Zeitraum von 15 Jahren nicht bedient werden. Und auch Uwe Müller vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie sagt:
Müllers Behörde prüft derzeit, wie sich der Wasserhaushalt in ganz Sachsen unter Berücksichtigung der aktuellen klimatischen Veränderungen entwickeln wird. Die Ergebnisse dieser Berechnungen sollen Ende des Jahres vorliegen. "Wir wollen auf alle Fälle sicherstellen, dass keine Übernutzung stattfindet", sagt Müller.
Der Traum vom Neuseenland hat die Region lange geprägt: Kohle raus, Wasser rein – aus einem Tagebau wird ein See. Doch Wasser ist schon jetzt knapp und wird mit dem Kohleausstieg noch knapper.
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Volkmar Zschocke fordert inzwischen, den Gewässerverbund in und um Leipzig neu zu denken, um sich auf klimatische Veränderungen einzustellen. "Wasser muss jetzt schon aus der Mulde übergeleitet werden, um zum Beispiel das Kraftwerk Lippendorf zu kühlen", sagt er. Auch die Chemieindustrie habe großen Durst. Das Gesamtkonzept müsse auch die Funktion der Seen neu diskutieren, diese um eine Speicherfunktion für den Auwald ergänzen und die Priorität der Gewässertourismus-Pläne senken.
Weiße Elster, Pleiße, Auwald, das sind wichtige Orte für die rund 630.000 Leipziger und ihre Gäste. Jeden Sommer paddeln Tausende durch die verschiedenen Wasserarme in der Stadt. In der DDR versteckt und verdreckt werden und wurden sie nach der Wende Schritt für Schritt wieder ans Licht gebracht. Doch ob das Wasserglück anhält, ist offen. Denn Leipzig steht mit dem Ausstieg aus der Braunkohle vor einem Wasserproblem.
Pleiße und Weiße Elster könnten nach allem, was Andreas Berkner vom Planungsverband Westsachsen abschätzen kann, in Trockenphasen bis zu einem Drittel weniger Wasser führen, weil dann das Tagebauwasser fehlen wird. Das sächsische Oberbergamt erwartet ohne das zusätzliche Wasser aus den Tagebauen "kritische Abflussverhältnisse" in längeren Trockenperioden.
Leipzig weiß um das Problem: Die Stadt geht davon aus, dass Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe notwendig sein werden, um das Wassermanagement entsprechend anzupassen. Sie will "Schwammstadt" werden, um Wasser besser in der Landschaft zu speichern. Die Idee dahinter: Bei starkem Regen mehr Wasser zu halten, das dann bei Bedarf langsam wieder freigegeben werden kann.
Möglicherweise wird das nicht reichen. Der NABU meint, um eine drohende Dürre effektiv zu bekämpfen, ist eine ganze Schwammregion mit stehendem Wasser im Auwald und anderen Bereichen nötig.
Was wäre Berlin ohne die Spree? Wahrscheinlich nur halb so schön. Berlin hat nicht nur schöne Strände, es bezieht auch Trinkwasser über sein größtes Wasserwerk Friedrichshagen aus der Spree und verdünnt seine Abwässer mit Spreewasser.
Inzwischen rückt auch hier die Frage in den Vordergrund: Was wäre die Spree ohne Tagebauwasser? Denn seit rund 120 Jahren ist durch die Kohle mehr Wasser im Fluss, wird Kohlewasser in die Spree gepumpt. Mit dem beschlossenen Ausstieg aus dem Kohleabbau wird auch die Spree nach und nach örtlich bis zu 75 Prozent ihrer aktuellen Wasserzufuhr verlieren. Das hat eine Studie vom Umweltbundesamt (UBA) ergeben.
Das ist die Wassermenge, die der Spree künftig fehlt.
Wasser aus der Spree zur Verdünnung von Abwasser jährlich
Das nachbergbauliche Wasserdefizit ist der Studie zufolge gewaltig. Die Sorgen darum sind so groß, dass sich im Februar 2024 sogar der Umweltausschuss des Bundestages in einer Expertenanhörung damit befasst hat.
Die befragten Fachleute machen klar, dass es höchste Zeit ist, zu handeln. Sie formulieren im Bundestag verschiedene Ziele und Vorschläge, die vom Umbau der Bergbaufolgeseen in Speicher bis hin zur Überleitung von Fluss- und Niederschlagswassern aus anderen Einzugsgebieten reichen.
Auch der Spreewald lebt vom Wasser der Spree. Rund 1.000 Kilometer Fließe schlängeln sich durch die Naturregion südöstlich von Berlin. Sie versorgen Auwälder, Wiesen, Teiche und den Wassertourismus mit Wasser. Dieses macht den Spreewald zum Natur- und Tourismusparadies. Das macht auch der Sachverständige Eugen Nowak vom Verein Nationale Naturlandschaften bei der Bundestagsanhörung deutlich. Um das Feuchtgebiet zu erhalten, muss Nowak zufolge vor allem das Land Brandenburg handeln.
Doch der Ball liegt nicht nur bei Brandenburg, Berlin oder dem Bund. Er liegt auch in Sachsen. Denn eine der möglichen Lösungen für den Wassermangel in der Spree greift in den Wasserhaushalt der Elbe ein. Und möglicherweise auch in die Nationalparkregion Sächsische Schweiz. Durch ein riesiges Rohrsystem könnte Wasser aus der Elbe in Richtung Spree gepumpt werden. Das Umweltbundesamt hat das Szenario in seiner Wasserstudie aufgegriffen.
Jetzt will das sächsische Umweltministerium untersuchen lassen, wie realistisch diese Idee wirklich ist. Kann sie trotz großer räumlicher Hindernisse wie Siedlungen, Schutzgebiete und geologischer Gegebenheiten umgesetzt werden? Und gibt es überhaupt genug Wasser im Einzugsbereich der Elbe?
Dresden an der Elbe. Oberhalb der Stadt könnte die Elbe für die Spree angezapft werden.
Ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet ist Dr. Wilfried Uhlmann. Er leitet das private Institut für Wasser und Boden (IWB) in Dresden und berät sowohl die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) als auch das große Energieunternehmen LEAG.
Wasser führt die Spree an der Landesgrenze Sachsens
Wasser führt die Elbe bei Dresden
Schon vor mehr als 100 Jahren habe man darüber nachgedacht, die großen Flüsse quer durch Deutschland für den Schiffsverkehr zu verbinden, erzählt Uhlmann. Seit etwa 25 Jahren nun kursiere die Idee eines "Elbe-Überleiters" – entstanden aus Überlegungen zur Flutung von Braunkohleseen.
Wasser aus der Elbe für die Spree also. Es gibt drei Szenarien. In zweien davon wird Wasser oberhalb Dresdens abgezapft.
Die Planungen von damals sind Grundlage der Überlegungen und Diskussionen von heute. Diese drei Trassenführungen sind im Gespräch:
Für Variante zwei müsste das Elbstandsteingebirge untertunnelt werden. Drei Meter hohe Röhren würden unter dem Nationalpark entlanggeführt. Der Vorteil: Das Wasser muss Uhlmann zufolge nur knapp 100 Meter auf einen Hochpunkt gepumpt werden. Von dort aus flösse es in einem natürlichen Gefälle zur Spree. Die Variante wäre die kürzeste.
müssten die Rohre zunächst hoch geführt werden.
wäre der Überleiter maximal lang.
Ab Planungsstart würde der Bau dieser Variante nach Uhlmanns Schätzungen mindestens 20 Jahre dauern und "einige mehrere 100 Millionen Euro" kosten. Ein Detail ist Uhlmann wichtig: Das Wasser müsste die Spree im oberen Bereich erreichen, um die bereits vorhandenen und auch die noch auszubauenden Speicher zu speisen.
Die Elbe anzapfen, um die Spree zu füllen – gibt es dafür überhaupt genug Wasser? Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht diesen Punkt mehr als kritisch.
Die Elbe konnte ihre Aue wegen der anhaltend niedrigen Wasserstände in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr flächendeckend mit Wasser zu versorgen. Seit dem Jahrhunderthochwasser 2013 habe größtenteils Niedrigwasser und Dürre die Flusslandschaft geprägt, sagt BUND-Elbe-Expertin Iris Brunar. Die Aue sei inzwischen von der Wasserknappheit schwer gezeichnet, in weiten Teilen abgestorben oder die Bäume vom Trockenstress geschädigt.
Schon jetzt sind Brunar zufolge das UNESCO-Welterbe Dessau-Wörlitzer Gartenreich in Sachsen-Anhalt und das UNESCO-Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe mit der größten zusammenhängenden Hartholzaue Mitteleuropas in ihrem Fortbestand gefährdet.
Und damit einer der laut EU besten Auenwälder, weiß Mathias Scholz, Ökologe am Department Naturschutzforschung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig.
"An den meisten Flüssen in Deutschland haben wir nach Angaben aus dem aktuellen Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz zwischen 70 und 90 Prozent Auenverlust", sagt Scholz. Damit stehe nur noch ein Drittel bis zehn Prozent der ehemaligen Auen als Überflutungsaue zu Verfügung - die ebenfalls bereits stark verändert seien - auch in Mitteldeutschland, wo sich die größten Auenwälder Deutschlands befänden.
Doch sie sind sehr stark gefährdet. Zum Beispiel der Leipziger Auwald, aber auch die Auenwälder bei Dessau im UNESCO-Biosphärenreservat Mittelelbe beziehungsweise Flusslandschaft Elbe, weil diese Wälder zum Teil durch den Flussausbau und zu tief liegende Flusssohlen nicht mehr vom Hochwasser erreicht werden.
Der Grund: Diese Wälder werden Scholz zufolge durch Flussausbau und zu tief liegende Flusssohlen nicht mehr vom Hochwasser erreicht. Damit werden die Auenwälder allmählich zu Durchschnittswäldern, so wie anderswo: "In anderen Gegenden Deutschlands sind diese Wälder komplett verschwunden." Die Trockenheit der vergangenen Jahre hat Scholz zufolge außerdem die Vitalität der Bäume beeinträchtigt.
Wegen des Ulmensterbens seien Ulmen fast aus dem "Kronendach" fast verschwunden, Eschen würden seit rund zehn Jahren durch das Eschentriebsterben dezimiert, der Bergahorn sei von der Rußrindenkrankheit betroffen und die Vitalität der Eichen sei in den letzten Jahren stark durch den Eichenprozessionsspinner beeinträchtigt worden.
Diese von Eichen, Eschen und Ulmen geprägten Hartholz-Auenwälder gehören mit zu den artenreichsten Waldökosystemen, die wir hier in Mitteleuropa finden können. Das heißt also, wir haben eine sehr hohe Verantwortung.
Die Probleme für die großen Flüsse, deren Auenwälder und perspektivisch auch der Anrainerkommunen wegen des Ausstiegs aus der Kohle sind gewaltig und werden sich mit dem zunehmenden Klimawandel noch einmal verschärfen.
Inzwischen haben die drei Bundesländer Sachsen, Brandenburg und Berlin die Wasserversorgung zur Chefsache gemacht: Am 14. Juni beraten Michael Kretschmer, Dietmar Woidke und Kai Wegner in der sächsischen Landesvertretung in Berlin über Lösungen für diese Krise.
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UBA-Studie
Text und Gestaltung: Anja Neubert
Unter Verwendung von Artikeln und Recherchen von:
Björn Menzel, Britta Veltzke, Carolin Voigt, Till Ganswindt, Lucas Grothe, Rebecca Nordin Mencke.
Reel-Produktion: Marius Dahmen, Tim Schulz
Redaktion: Piet Felber-Howitz