Die Braunkohle
Hunderte Ortschaften mussten den wachsenden Tagebauen weichen, Tausende Einwohner ihre Häuser verlassen.
Über Jahrzehnte brachte die Kohle Arbeit, Energie und Wohlstand. Doch ihre Zeit scheint vorbei zu sein.
Seit Jahren tobt ein Kampf um die Zukunft der Kohle – und damit auch um die Chancen einer ganzen Region.
Was wird aus den Arbeitsplätzen? Woher kommt künftig die Energie? Wie werden die wüsten Landschaften genutzt?
Mehr als 80.000 Menschen mussten der Braunkohle weichen
Insgesamt haben bislang in der Lausitz und im Mitteldeutschen Braunkohlerevier mehr als 80.000 Menschen ihre Heimat wegen der Kohleförderung verloren. Das geht aus einer Auswertung hervor, die der MDR erstmals auf Grundlage von Daten des Leiters der Regionalen Planungsstelle Leipzig, Andreas Berkner, sowie des Archivs "Verschwundener Orte" erstellt hat.
Mindestens 250 verlorene Orte durch Braunkohle
Noch höher ist die Zahl der verlorenen Orte sogar, wenn etwa Abbrüche für Kühlwasser-Becken hinzugezählt werden.
Bundesweit mussten bislang 372 Orte der Braunkohle weichen. Insgesamt wurden dadurch rund 125.000 Menschen gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen.
Die meisten Arbeitsplätze sind schon weg
Im Revier Mitteldeutschland
waren Ende 2017 noch 2.367 Menschen beschäftigt. 1989 gab es hier 59.815 Arbeiter.
Diese Zahlen zeigen, dass der große Aderlass beim Abbau der Arbeitsplätze bereits in der Vergangenheit liegt.
Schaut man sich die Bundesländer an, so sind heute in Sachsen rund 3.250** und in Sachsen-Anhalt etwa 3.100*** Menschen in der Braunkohle beschäftigt.
Hinzu kommen Arbeitsplätze, die mit der Energiegewinnung aus der Kohle indirekt verbunden sind. In Sachsen können das bis zu 6.000 sein. In Sachsen-Anhalt wird die Zahl auf rund 8.000 geschätzt.
Bundesweit sind rund 21.000 Menschen in der Braunkohle und deren Verstromung beschäftigt*.
*DEBRIV, Bundesverband Braunkohle
** Wirtschaftsministerium Sachsen
*** Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt
Ein Viertel des Stroms wird mit Braunkohle erzeugt
Bundesweit wurden etwa 147** Terawattstunden (TWh) aus Braunkohle erzeugt. In Sachsen waren es gut 32 TWh**, in Sachsen-Anhalt knapp 7** und in Brandenburg fast 33**.
Insgesamt wurden 2017 rund 156 Millionen Tonnen Braunkohle für die Strom- und Fernwärmeerzeugung eingesetzt. 57,5 Millionen Tonnen stammten aus dem Revier Lausitz und 17,5 aus dem Revier Mitteldeutschland.**
Das Mitteldeutsche Revier trägt übrigens knapp drei Prozent zur deutschen Stromerzeugung bei.***
*Bruttostrom bedeutet, dass auch die Energiemenge enthalten ist, die zum Beispiel Kraftwerke für den Betrieb brauchen.
** DEBRIV
*** Bundeswirtschaftsministerium
Braunkohle ist nach wie vor eine wichtige Energiequelle
Von den 38,5 Millionen Tonnen Braunkohle, die 2016 in Sachsens Tagebauen gefördert wurden, wanderten fast 9 Millionen in den Export und rund 30 in Kraftwerke.
Es wurden 31,5 Terawattstunden Strom aus Braunkohle gewonnen. Das sind 75 Prozent der gesamten Stromerzeugung des Landes. Rund ein Drittel des in Sachsen erzeugten Stroms wird nicht im Land selbst verbraucht.*
Und auch in Sachsen-Anhalt:
In Sachsen-Anhalt sind 2016 insgesamt 6,5 Terawattstunden Strom aus Braunkohle erzeugt worden. Die Braunkohle deckte einen Anteil von 15 Prozent am gesamten Energieverbrauch ab. Zum Vergleich: Erneuerbare Energien trugen 19 Prozent bei, Mineralöl 32 und Erdgas 34 Prozent.**
Anders ist die Situation in Thüringen:
Die Braunkohle spielt in dem Bundesland keine große Rolle bei der Energieversorgung. Es gibt weder ein Kohlekraftwerk, noch wird Braunkohle gefördert. Der Anteil der Braunkohle am Energieverbrauch lag in Thüringen 2015 lediglich bei knapp zwei Prozent.
* Quelle: Wirtschaftsministerium Sachsen
** Quelle: Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt
*** Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz Thüringen
Braunkohle-Ausstieg könnte Stromkosten verteuern
In Sachsen und Sachsen-Anhalt wird auch deshalb weiter an der Braunkohle als wesentlichem Bestandteil im Energiemix festgehalten.
"Die zentrale Aufgabe der mitteldeutschen Braunkohlekraftwerke besteht in der jederzeit bedarfsgerechten Versorgung mit sicherer, kalkulierbarer, importunabhängiger und wirtschaftlicher Elektroenergie für ganz Deutschland. In dieser Gesamtheit der Eigenschaften ist die Braunkohle derzeit von keinem anderen Energieträger zu ersetzen", erklärt dazu das Wirtschaftsministerium in Sachsen.
Die komplette Ablösung der Braunkohle durch Erneuerbare Energie ist dem Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt zufolge derzeit zwar theoretisch möglich, jedoch seien die Voraussetzungen wie Netzausbau und Speichertechnologien noch nicht gegeben.
Das Thüringer Umweltministerium ist da optimistischer: Das Bundesland will bis 2040 seinen Energiebedarf durch einen Mix aus Erneuerbaren Energien vollständig decken. Allerdings ist die Lage im Freistaat auch eine andere - es gibt keine direkte Energiegewinnung aus Braunkohle.
Noch 22 Milliarden Tonnen Kohle im Boden
Im Mitteldeutschen Revier sind 2017 rund 19 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert worden. Dafür wurden etwa 57 Millionen Tonnen Abraum bewegt.
Die geologischen Vorräte in den beiden Revieren betragen zusammen etwa 22 Milliarden Tonnen. Davon sind rund fünf wirtschaftlich gewinnbar.*
Würde also künftig genauso so schnell weitergebaggert wie 2017, wären die restlichen fünf Milliarden Tonnen Kohle erst in mehr als 60 Jahren aus den Böden in der Lausitz und in Mitteldeutschland geholt.
*Quelle: Statistik der Kohlenwirtschaft
Kohle verursacht ein Drittel der Treibhausgase
Braunkohle-Kraftwerke stoßen mehr als ein Kilogramm CO2** pro erzeugter Kilowattstunde aus. Hinzu kommen Stickstoffoxide, Schwefeloxide, Quecksilber und andere Giftstoffe.
Wegen des Klimawandels empfahl das Umweltbundesamt Ende 2017 unter anderem, die Stromerzeugung alter Kohlekraftwerke zu begrenzen und die ältesten nacheinander stillzulegen. Ausdrücklich riet die Behörde davon ab, neue Tagebaue zu erschließen und bestehende zu erweitern.
* Umweltorganisation BUND
** Öko-Institut
Erneuerbare Energien verdrängen die Kohle
Zu den Bundesländern mit den meisten Beschäftigten in diesem Bereich zählt Sachsen-Anhalt. Dort arbeiteten für Erneuerbare Energien 2016 schon 24.850 Menschen. Zur Erinnerung: Direkt im Braunkohleabbau und in der Verstromung sind in dem Bundesland nur noch 3.100 Menschen beschäftigt.
Energie aus Wind, Sonne und Biomasse verdrängt den Anteil fossiler Brennstoffe im Energiemix zunehmend. Außerdem gilt Erdgas als klimafreundlichere Alternative zur Braunkohle.
Halle hat Deutschlands größten Wärmespeicher
Und der funktioniert so: Bislang war im Gaskraftwerk in Halle zur Stromherstellug Erdgas verbrannt worden. Die Restwärme wanderte ins Fernwärmenetz. Wurde hingegen kein Strom aus Gas erzeugt, weil er etwa aus Solaranlagen eingespeist wurde, wurde auch keine Wärme erzeugt. Wenn in Zukunft statt des Gaskraftwerks mehr erneuerbare Energiequellen Strom liefern, kann mit dem neuen Wärmespeicher überschüssige Energie als Wärme gespeichert werden.
Die Technologie rechnet sich derzeit allerdings noch nicht. Unter anderem ist sie stark von Zuschüssen abhängig.
Seen werden zu Touristen-Magneten
Statistisch gesehen können zum Beispiel im Neuseenland mittlerweile mehr als 4.300 Personen vom Tourismus leben. Vor fünf Jahren waren es noch rund 500 weniger.
Allerdings sind dem touristischen Wachstum in den Braunkohlefolgelandschaften auch Grenzen gesetzt. Flächensperrungen, bedingt durch die Bergbausanierung, hemmen private Investitionen in die weitere touristische Entwicklung der Region. Zum anderen geht die Flutung der Seen langsamer voran als geplant.
*Tourismusverein Neuseenland
**Lausitzer Tourismusverband
Innovation im Revier: Ideen und Millionen gesucht
Wie geht es mit diesen Arbeitsplätzen nach einem möglichen Braunkohleausstieg weiter? Um diese Frage zu klären, ist Anfang Oktober für das Mitteldeutsche Fördergebiet das
Projekt "Innovation im Revier“ in Leipzig gestartet.
Bis Ende 2020 sollen Konzepte und Studien vorliegen, wie der Strukturwandel in den Braunkohlegebieten aussehen könnte und in welche Industrien es sich lohnt, zu investieren.
Dabei könnte es zukünftig um innovative Speichertechnologien oder die Produktion von Batterien und Brennstoffzellen gehen. Im Fokus sollen aber auch Infrastrukturprojekte stehen, wie der Nahverkehr oder die Breitbandversorgung.
Doch eigentlich sollte niemand mehr in dem Ort leben: Die Umsiedlung aller Bewohner des Dorfes sollte laut Braunkohlekonzern MIBRAG spätestens 2018 abgeschlossen sein.
Pödelwitz liegt inmitten des Mitteldeutschen Braunkohlereviers, am Rande des Tagebaus "Vereinigtes Schleenhain". Unter dem Grund des Dörfchens schlummern XYZ ... Braunkohle.
Pördelwitz könnte eines der letzten Dörfer sein, dem in der Region der Abbruch droht.