Die vergangenen Monate hätten den Deutschen ihre Abhängigkeit von Erdgas und Erdöl nicht schmerzhafter vor Augen führen können. Die Klimakrise zeigt uns zudem: Dreckiger als in den vergangenen Jahrzehnten lässt sich Energie kaum gewinnen. Auf einem Energieträger ruhen nun große Hoffnungen: Wasserstoff.
Wasserstoff könnte Erdgas als wichtigen industriellen Grundstoff ersetzen. Er wird sogar "grün", wenn er mit "überschüssigem" Strom aus Wind und Sonne produziert wird.
Einige energiehungrige Mittelständler in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen könnten grünen Wasserstoff sofort einsetzen, wenn es ihn schon ausreichend gäbe. Darunter auch die Firma Steinzeug-Keramo in Bad Schmiedeberg.
Die Steinzeug-Keramo GmbH in Bad Schmiedeberg braucht viel Energie. Sie stellt Abwasserrohre aus Ton her. Vier Millionen Euro hat das Unternehmen laut Werksleiter Rainer Rohde in die Hand genommen, um zwei der drei Produktionslinien sparsamer zu machen. In der Produktion braucht das Unternehmen einen Energieträger, der für Temperaturen bis 1.130 Grad Celsius sorgen kann. Steinzeug-Keramo könnte in beiden umgebauten Anlagen "jetzt auch schon Wasserstoff einsetzen – wenn er denn da wäre", sagt Werksleiter Rainer Rohde:
Die Auerhammer Metallwerk GmbH gibt es seit fast 500 Jahren. Das Unternehmen hat rund 180 Mitarbeiter und stellt unter anderem hauchdünne Metallbänder und -folien her. Grüner Wasserstoff ist wichtig für das Werk – mit Blick auf die Ablösung fossiler Brennstoffe. Kunden weltweit achten inzwischen auf die Ökobilanz ihrer Produkte. Hinzu kommt der eigene Anspruch:
Schon jetzt setzt Auerhammer in seinen Glühprozessen Wasserstoff ein, sowohl als Energieträger als auch als Prozessgas. Um Erdgas bis 2030 vollständig zu ersetzen, braucht das Werk 10 bis 15 Gigawattstunden an grünem Wasserstoff. Eine solche Menge könne nicht mit den Lkw nach Aue transportiert werden, erläuterte Geschäftsführer Krumbach auf einer Pressekonferenz:
Ende Juli laden die IHK Chemnitz und weitere Akteure die Presse nach Chemnitz ein. Der Grund: Das sogenannte Wasserstoff-Kernnetz. Die Ferngasnetz-Betreiber haben dazu wenige Wochen zuvor einen ersten Planungsstand vorgestellt. Südwestsachsen – und damit Chemnitz, das Erzgebirge und das Vogtland – kommen darin nicht vor.
"Wie wir bereits festgestellt haben, wird es nicht so einfach sein, auf diesen Zug aufzuspringen" – mit diesen Worten leitet die Sprecherin der IHK das Treffen ein. Dabei sei es "ungemein wichtig, dass wir an dieses Kernnetz angeschlossen werden", sagt Oberbürgermeister Sven Schulze.
Alle im Raum wissen, wie wichtig grüner Wasserstoff als Energieträger in der Region ist. Alle haben Angst, den Anschluss zu verlieren. Erneut. Wie bei der Fernbahnanbindung und dem Autobahnanschluss. Im Eckpunktepapier, das an diesem Tag vorgestellt wird, steht: "Hier nun droht die Region Südwestsachen einmal mehr abgehängt zu werden" - und damit eine Region, die zu den "bedeutendsten Wirtschaftsraum der neuen Bundesländer" zähle.
Umsonst, wie auch alle weiteren Anstrengungen: Im neuen Entwurf ist Chemnitz wieder nicht dabei. Zwar ist auch dieser nicht endgültig, obliegt noch einer Prüfung durch die Bundesnetzagentur. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaftsunternehmen der Region erst nach 2032 mit Wasserstoff in großen Mengen rechnen können, wächst.
Grund für die Empörung in Südwestsachsen ist das sogenannte Wasserstoff-Kernnetz, das auch in der Fortschreibung der nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung eine wichtige Rolle spielt.
Nach erstem veröffentlichten Planungsstand soll es sich über 11.200 Kilometer ziehen. Inzwischen wurde ein überarbeiteter Entwurf vorgelegt - mit 9.700 Kilometern fällt es 1.500 Kilometer kleiner aus.
Ein Schnellschuss – haben im Sommer die gewarnt, die leer ausgehen. Der Fernnetzbetreiber ONTRAS entgegnet: Die Planung sei nicht das letzte Wort. Tatsächlich berücksichtigt der neue Entwurf einige Zentren in Sachsen besser als zuvor. Andere gehen trotz aller Anstrengungen - zunächst - leer aus.
Ralf Borschinsky ist Sprecher von ONTRAS. "Es ist Aufgabe des Kernnetzes die wesentlichen Erzeuger und Verbraucher zu verbinden", sagt er.
ONTRAS weiß um die Nöte in den Regionen, auch der in Südwestsachsen, erzählt Borschinsky. Und schon im Sommer macht er klar: "Zudem wird es einen Folgeprozess geben, in dem sich die nicht im Kernnetz enthaltenen Regionen beteiligen können", sagt er. Diesen wolle die Bundesregierung noch in diesem Jahr etablieren.
Nicht alle Unternehmen, die Wasserstoff benötigen und einsetzen wollen, können Wasserstoff über eine Pipeline beziehen. Sie könnten das Gas über Wasserstoff-Hubs beziehen, sozusagen überdimensionierte Wasserstofftankstellen. Von diesen profitieren dann auch Wasserstoff-betriebene Verkehrsmittel, Lkws zum Beispiel.
So ein Hub entsteht gerade in Erfurt. Er soll am Güterverkehrszentrum Erfurt Ost dafür sorgen, dass Lkws mit Wasserstoffantrieb schnell wieder auf die Straße können.
Der Wasserstoff soll bei Kirchenheiligen hergestellt werden – mithilfe von Strom aus Wind und Wasser. Über Alach und Schwerborn soll er dann dem Industriegebiet Erfurter Kreuz, einem Heizkraftwerk, dem Güterverkehrszentrum und dem Schienenverkehr zur Verfügung gestellt werden. Entlang des Streckenverlaufs sind weitere Elektrolyseure geplant:
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verfügen über ein großes Wasserstoff-Forschungsnetzwerk aus Hochschulen, Projekten und Unternehmen.
Eines der Projekte befindet sich in Bad Lauchstädt. Dort entsteht gerade ein "Reallabor", an dem die Produktion von grünem Wasserstoff aus Wind- und Sonnenenergie untersucht werden soll – ebenso Speicherung und Transport. Am Rande der Kleinstadt drehen sich 42 Windräder. Nun kommen acht hinzu, um den neuen Energiepark zu versorgen. Gespeichert werden soll das Gas in den unterirdischen Salzkavernen. Ein erster Schritt in Richtung Wasserstoffwirtschaft:
Die Hörmann KG im thüringischen Ichtershausen geht einen ähnlichen Weg. Sie hat sich kurzerhand einen eigenen Elektrolyseur aufs Gelände gestellt und testet in Thüringen seit Mai 2023 für die gesamte Firmengruppe, wie das funktioniert. Das interessiert auch andere Unternehmen, erzählt Werksleiter Matthias Nemitz und berichtet von bislang positiven Ergebnissen.
Der Elektrolyseur erzeugt eine Leistung von 300 KW oder 5,5 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde, also rund 60 Normkubikmeter. Er läuft seit Mai 2023, und, wie Nemitz bei der Installation im MDR erklärte, ersetzt er ein Fünftel des Erdgasbedarfs der Firma.
Gelernt hat man in Ichtershausen: Die Anlage trotzt der Sommerhitze. "Bis jetzt sind wir ganz zufrieden", sagte Nemitz MDR AKTUELL. Die Anlage funktioniere auch bei heißen Temperaturen gut. "Jetzt müssen wir sehen, wie es bei tiefen Temperaturen geht." Nun wartet Nemitz also auf den Winter. Er überlegt, was mit dem Wasserstoff gemacht wird, der am Wochenende erzeugt wird, und mit dem Sauerstoff, der bei der Elektrolyse entsteht.
Derzeit gibt es in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kaum Unternehmen, die eigenen Wasserstoff herstellen, noch dazu grünen. Meist wird das Gas dann auch direkt vor Ort verbraucht.
Die Elektrolyseleistung in ganz Deutschland im Jahr 2022 rund 57 Megawatt. Inzwischen ist sie gestiegen, auf fast:
MEGAWATT
Das ist weit von den Zielen der Bundesregierung für das Jahr 2030 entfernt. Dann sollen laut Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie 10 Gigawatt produziert werden, also:
MEGAWATT
Eine Leistung, die Experten durchaus für machbar halten. Derzeit stecken viele Projekte in den Startlöchern. Den Bedarf in Deutschland wird diese Leistung aber bei Weitem nicht decken.
Die Bundesregierung rechnet für das Jahr 2030 mit einem Bedarf von 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) an grünem Wasserstoff – also Wasserstoff, der mit grünem Strom hergestellt worden ist. Gemessen an den Zielen der Bundesregierung käme künftig also nur etwa ein Fünftel des eigenen Bedarfs aus der Bundesrepublik.
Wirtschaftsministerium und die Wirtschaft selbst haben daher eine Importstrategie aufgelegt. Ein Akteur dabei ist die gemeinnützige Stiftung "H2Global" und deren "ausführender Arm, die HINTCO, ein sogenannter Intermediär, ein Zwischenhändler. Offiziell sitzt der in Leipzig.
Die HINTCO arbeitet in zwei Richtungen. Sie will potenzielle Produzenten grünen Wasserstoffs in die Produktion bringen. Die Vorgaben für "grün" sind streng reguliert. Dafür bietet die HINTCO langfristige Verträge und ist bereit, erst einmal hohe Preise zu zahlen.
Den Abnehmern bietet die HINTCO kurze Verträge und Sicherheit, dass der Wasserstoff tatsächlich grünen, sozialen und nachhaltigen Kriterien entspricht. Und erzielt die HINTCO auf dem Abnehmermarkt nicht die Einkaufssumme, so wird der Verlust vom Bund getragen. Gemeinsam mit der Leipziger Energiebörse EEX will HINTCO 2024 die erste Wasserstoff-Auktion durchführen.
Schon jetzt bildet die EEX mit dem HYDRIX-Index eine erste marktbasierte Preiseinschätzung für Wasserstoff in Deutschland ab. HINTCO-Geschäftsführer Daniel Wragge dazu:
Der HYDRIX-Index für 2023 zeigt Preise für grünen Wasserstoff von 200 bis 250 Euro pro Megawattstunde:
Grüner Wasserstoff kann vor allem dort günstig hergestellt werden, wo die Bedingungen für regenerative Energien besonders gut sind. Ein solcher Ort ist Lüderitz in Namibia. Die Stadt teilt einige Gemeinsamkeiten mit der gleichnamigen Gemeinde in Sachsen-Anhalt:
Nach den kriegsbedingten Preisexplosionen normalisiert sich der Großhandelspreis für Erdgas im Moment. Doch Unwägbarkeiten bleiben. Auch machen die kontinuierlich steigenden CO2-Preise den fossilen Energieträger langfristig unattraktiv: Ab 2024 werden pro Tonne emittiertem CO2 35 Euro fällig. 2027 dann 55 Euro.
Dabei rechnen Unternehmen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen derzeit intensiv durch, was sich für sie am besten rechnen wird: Strom aus Wind und Sonne? Aus Wasserstoff? Sowohl als auch? Sie rüsten Fertigungslinien um, sparen Energie. Denn die Nachfrage nach grünen Produkten wächst. Und klar ist auch: Wesentlich billiger, Stand jetzt, wird Energie in naher Zukunft voraussichtlich nicht mehr.
Mit grünem Wasserstoff verbindet sich daher die Hoffnung, der Industrie zuverlässig und klimaschonend Energie zur Verfügung stellen zu können. Von einer Modellregion für grünen Wasserstoff, wie sie vielen Landespolitikern und Interessensverbänden vorschwebt, ist man in Mitteldeutschland jedoch ein gutes Stück entfernt.
©MDR 2023